Auf einen Kaffee mit Gregory Raymond
Schweizer Meister Latte Art
Wir treffen uns auf einen Kaffee mit Gregory Raymond und fragen Ihn, wie er professioneller - und ausgezeichneter - Barista wurde.
1. Beginnen wir ganz allgemein mit Ihrer beruflichen Laufbahn: Wie wird man professioneller – und ausgezeichneter – Barista?
Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn hatte ich noch gar nichts mit Kaffee zu tun. Erst nach einem Studium der internationalen Wirtschaftswissenschaften entschied ich mich für eine Laufbahn in der Gastronomie, genauer gesagt in einem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant. Hier absolvierte ich von 2007 bis 2013 eine Ausbildung zum Maître d'hôtel, also einem Restaurantleiter, mit Spezialisierung auf das Anrichten am Tisch. Anschliessend war ich von 2013 bis 2015 für den Service eines Bistros verantwortlich, worauf wiederum eine Anstellung als Leiter der Carasso-Café-Filialen in Genf folgte – wo ich bis heute arbeite. Erst durch diese Tätigkeit tauchte ich schliesslich voll in die Welt des Kaffees ein. Zur gleichen Zeit nahm ich deshalb auch einen Grossteil des Schulungsangebots bei Ennio Cantergiani an der Schweizer Kaffee-Akademie wahr.
Anfangs spielte vor allem die sogenannte «Latte Art» eine grosse Rolle. Hiermit konnte man den Gästen eindrucksvoll vermitteln, dass man sein Handwerk versteht und mit einer Espressomaschine umgehen kann. Mittlerweile habe ich mein Können in vielen Workshops aber noch mehr verfeinert und erweitert. Das erlaubt es mir etwa, wirkliche «Barista-Shows» anzubieten. Mein Einstieg in die Welt der Barista-Wettbewerbe war dementsprechend bei den Swiss Latte Art Championships 2018. Direkt bei meiner ersten Teilnahme konnte ich hier das Finale erreichen. Im Folgejahr konnte ich dann auch schon meinen ersten nationalen Titel erringen. Ebenfalls 2019 wurde ich zudem Schweizer Aeropress-Vizemeister und Tiroler Vizemeister. Im letzten Jahr setzte sich diese Erfolgsserie fort und ich konnte meinen Titel bei den Swiss Coffee Championships verteidigen. Aufgrund dieser Erfahrungen bin ich nun in der Lage, mein Wissen weiterzugeben – etwa in Form von Schulungen, die ich eigenständig anbiete, oder als Black-Level-Ausbilder für das Latte Art Grading System.
2. An welchem Punkt haben Sie konkret erkannt, dass Sie professionell mit Kaffee arbeiten wollen?
Das kann ich ganz genau beantworten: An meinem ersten Tag bei Carasso wusste ich, dass ich in diese komplexe und ausserordentlich interessante Welt eintauchen möchte. Mir war sofort klar, dass dies der Beginn einer langen Liebesgeschichte sein würde.
3. Woher denken Sie, kommt die Leidenschaft für den Kaffee?
«Der Appetit kommt beim Essen», sagt ja bekanntlich das Sprichwort. Bei mir und dem Kaffee war es ganz ähnlich. Ich trank zwar regelmässig Kaffee, aber darüber hinaus interessierte ich mich nicht weiter für dessen Zubereitung. Abgesehen von einer French Press hatte ich auch keine besondere Maschine im Haus. Aber durch meinen Beruf erhielt die Chance, dieses fantastische Universum zu erkunden. Und ich habe es seither nie bereut.
4. Wie muss man sich Ihre Arbeit bei Carasso denn in etwa vorstellen?
Vereinfacht lässt sich sagen: Meine Aufgabe bei den Carasso-Cafés ist es, Kundenerwartungen bestmöglich zu erfüllen. Ich bin immer für unsere Kunden da – ob es nun um die Kaffeespezialitäten selbst geht oder um die Maschinen und Geräte. Wir arbeiten ausschliesslich mit Qualitätsprodukten und versuchen, für jeden einzelnen unserer Kunden die bestmögliche Lösung zu finden. Dabei geht es nicht um Gewinnmaximierung. Ein entscheidender Aspekt hierbei ist auch, dass wir nur extrem hochwertige Produkte in unseren Filialen verwenden. Eben diese Produkte zu finden ist mein Job. Ich prüfe sie nach strengen Kriterien und gebe meine Erkenntnisse dann an das ganze Team weiter.
Auf diese Weise versuchen wir jeden Tag etwas besser zu werden und unsere Kenntnisse rund um Kaffee weiter auszubauen. In meinem Beruf ist der Barista-Aspekt deshalb deutlich wichtiger als etwa ein guter Verkäufer zu sein. Denn wenn es uns gelingt herauszufinden, was dem Kunden gefällt – durch umfassende Beratungen und unser Know-how – bringt ihm das einen echten Mehrwert.
5. Kommen wir zum Kaffee an sich: Was macht für Sie die perfekte Tasse Kaffee aus?
Das ist die sprichwörtliche Millionenfrage. Ich denke, man kann das nur sehr schwer beantworten und schon gar nicht objektiv. Denn es geht eben nicht darum, wie der Kaffee zubereitet wird oder wie kompetent der Barista ist – sondern ganz simpel um den individuellen Geschmack. Wir alle mögen unseren Kaffee eben etwas anders. Am wichtigsten ist am Ende immer die Freude an der Sache. Und man darf keine Angst vor neuen Entdeckungen haben.
6. Wie haben Sie Ihre Leidenschaft für Latte Art entdeckt?
Ich habe sehr schnell für mich entdeckt, wie ästhetisch Latte Art ist. Wenn ein Kunde eine kunstvolle Kreation auf seinem Milchgetränk findet, wirkt sich das sofort positiv auf seine Stimmung aus. Dafür reichen aber Kreativität und Talent alleine nicht aus, entscheidend ist vor allem die perfekte Textur der Milch. Ein angenehmer Nebeneffekt hiervon ist, dass man auch in geschmacklicher Hinsicht ein besseres Getränk bekommt. Und natürlich ist Latte Art einfach ziemlich cool und trendig.
7. Wie lange dauerte es denn beispielsweise, das Fischmotiv der Meisterschaft 2019 zu entwickeln und zu perfektionieren?
Grundsätzlich kann sich die Länge dieses Prozesses stark unterscheiden. Je nach Motiv kann es sehr schnell gehen oder auch viel Zeit erfordern. Mit der Arbeit an diesem Fischmotiv habe ich 2017 begonnen. Und als ich immer besser darin wurde, habe ich wiederum das Motiv optimiert. Für die Meisterschaft 2019 hatte ich schließlich eine erste Version. Aber wie man auf den Fotos der Version für 2021 sehen kann, die ich für das World Latte Art Battle in Seoul vorbereitet habe, hat sich hier noch einiges weiterentwickelt.
8. Lässt sich grob abschätzen, wie viele Liter Milch Sie verarbeiten, bis ein Motiv perfekt ist?
Eindeutig zu viel – das muss ich leider so sagen. Und ausserdem ist ein Motiv natürlich niemals wirklich perfekt. Man kann sich immer weiter verbessern. Dementsprechend wird aber tatsächlich recht viel Milch verschwendet, das ist ein Problem.
9. Muss denn immer mit Milch geübt werden oder gibt es Alternativen, mit denen sich die Milchverschwendung reduzieren lässt? Und besteht bei den Weltmeisterschaften die Möglichkeit, auf reine Milch zu verzichten?
Es gibt mittlerweile schon seit einiger Zeit eine sehr interessante Alternative für Latte Art, unter dem Namen «Barista Carl Blend» (BCB). Dieses Produkt wird einfach zu Wasser hinzugefügt und hat nach dem Aufschäumen eine Textur, die praktisch identisch mit der von Milch ist. Das Ganze steht aber noch am Anfang der Entwicklung. Ich bin allerdings sicher, dass sich mit dem Produkt – nach weiteren Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen – praktisch identische Ergebnisse erzielen lassen wie mit Milch.
Ich weiss jedoch nicht, ob es auf Ebene der Weltmeisterschaften geplant ist, bei reiner Milch zu bleiben. Grundsätzlich bin ich aber der Meinung, dass wir zukünftig wirklich darüber nachdenken müssen, bei internationalen Wettkämpfen auf BCB umzusteigen. Schliesslich werden allein durch das Training der vielen Teilnehmer enorme Mengen Milch verschwendet.
10. Wodurch lassen Sie sich bei Ihren Entwürfen inspirieren?
Das kann ich nicht so eindeutig beantworten, ich habe keine spezielle Inspirationsquelle. Meine Ideen kommen zu mir, während ich übe. Ich finde es immer sehr interessant, wenn es mir gelingt, die Motive und Formen der besten Latte-Künstler der Welt nachzuahmen. Das hilft mir dabei, eigene Ideen zu entwickeln.
11. An welchem Motiv arbeiten Sie im Moment? Hat die Kreation spannende Besonderheiten?
Seit einigen Monaten bereite ich mich intensiv auf die nächste Schweizer Meisterschaft vor, die im September in Zürich stattfinden wird – vorausgesetzt, die Corona-Bestimmungen lassen es bis dahin zu. Meine neuen Motive sind deshalb selbstverständlich noch geheim. Ich kann aber zumindest so viel versprechen: Einige der Kreationen, an denen ich arbeite, werden schon bald in aller Munde sein.
12. Als echter Profi: Wie trinken Sie persönlich Ihren Kaffee am liebsten?
Auch wenn im Barista-Bereich Espresso-basierte Spezialitäten immer noch tonangebend sind, habe ich doch eine große Schwäche für sanftere Extraktionsmethoden. Insbesondere Pour-Over-Kaffee, der mit speziellen V60-Filtern zubereitet wurde, hat es mir aktuell angetan.
13. Was würden sie jemandem raten, der selbst ein professioneller Barista werden möchte?
Wer den Beruf des Baristas ergreifen möchte, muss auf jeden Fall viel Neugier mitbringen. Und es ist unerlässlich, den Kunden zuzuhören. Natürlich geht es aber nicht ohne eine gute Ausbildung, das ist klar. Man muss sich jederzeit darüber im Klaren sein, dass ständige, konzentrierte Arbeit erforderlich ist, um als Barista besser zu werden. Das ist der Vorteil, den wir im Café haben – wir lernen ständig dazu und können unser neues Wissen und Können sofort anwenden.
14. Blicken wir zum Abschluss ein wenig in die Zukunft: Welche Trends erkennen Sie im Bereich der Spezialitätenkaffees?
Nach meiner Wahrnehmung – und ich denke meine Kollegen in den Filialen sehen das ähnlich – erkennt man eine klare Tendenz in Richtung «Do it Yourself». Konkret bedeutet das, dass mehr und mehr Menschen ihren Kaffee wieder wie früher selbst machen möchten. Das lässt sich sowohl bei Filterkaffee als auch bei Espresso beobachten. Viele haben hier den Anspruch, ein Maximum an Geschmack in jeder Tasse zu erhalten. Damit einher geht der Trend zu immer vielfältigeren Spezialitätenkaffees, die immer stärker auf bestimmte Noten und Aromen spezialisiert sind. In der Gesamtheit ergibt sich so eine extrem grosse Geschmackspalette. Wie auch beim Essen oder beim Wein suchen die Menschen also auch im Bereich Kaffee nach immer neuen Geschmackserlebnissen.