Kaffeeforscher?

von Schaerer Marketing Team
coffee competence

Dem Kaffee auf den Grund gegangen

Was macht eigentlich ein Kaffeeforscher?

Was sind die Eigenschaften eines guten Kaffees und wie lassen sich diese konstant reproduzieren? Komplexe Frage wie diese beschäftigen sowohl Laien als auch Profis aus der Kaffeebranche. Um hierauf hilfreiche Antworten zu finden, braucht es spezialisierte Wissenschaftler wie Chahan Yeretzian. Schon seit 25 Jahren beschäftigt sich der heutige Leiter des Coffee Excellence Centers an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) beruflich mit Kaffee. In dieser Zeit war er unter anderem daran beteiligt, objektive Bewertungsstandards für die Qualität der Bohnen zu definieren und betrieb Grundlagenforschung, von der heute viele Unternehmen profitieren. Doch auch privat begeistert sich Yeretzian für Kaffee – und verrät im Gespräch auch, wie er seine erste Tasse des Tages am liebsten zubereitet. 

Beginnen wir ganz grundsätzlich: Wie wird man eigentlich Kaffeeforscher?

Zum Kaffee bin ich sozusagen als Quereinsteiger gekommen. Nach dem Studium der physikalischen Chemie und meiner Promotion in den Gebieten Laserspektroskopie und Nanotechnologie in Bern verbrachte ich zweieinhalb Jahre als Postdoc in Los Angeles. Auf dem dortigen Campus gab es einen sehr guten Coffee-Shop. Durch diesen nahm ich erstmals wirklich wahr, dass Kaffee viel mehr sein kann als nur ein Wachmacher am Morgen. In diese Richtung zu forschen, kam mir damals aber noch nicht in den Sinn. Im Jahr 1995 bot mir Nestlé schliesslich eine Stelle in ihrem Forschungszentrum in Lausanne an. Schon damals wurde hier äusserst professionell und in grossem Stil zu Lebensmitteln geforscht. Meine Entscheidung, speziell in der Produktkategorie Kaffee zu arbeiten, traf ich allem voran aufgrund der Zukunftsperspektive: Kaffee war zu dieser Zeit das entscheidende Produkt von Nestlé und ist es auch heute noch. 

Von was für Produkten sprechen wir hier konkret? Ging es zu dieser Zeit noch ausschliesslich um löslichen Kaffee oder war die Palette schon breiter?

Das Angebot war auf jeden Fall schon wesentlich vielschichtiger. Besondere Relevanz hatte etwa das Thema „Readyy to Drink“ (RTD), also bereits fertig zubereitete Kaffeegetränke in Dosen oder Flaschen, die man sofort trinken kann. Zudem deutete sich der Trend zu Kapselsystemen, wie man sie heute überall antrifft, bereits an. Der lösliche Instant-Kaffee, den viele mit Nestlé verbinden, war aber selbstverständlich auch sehr wichtig. Ich persönlich war vorrangig im RTD-Bereich tätig und leitete hier unter anderem ein Gemeinschaftsprojekt zwischen dem Forschungszentrum in Lausanne und einem Standort in Ohio.

Bezüglich der Komplexität war dieser Bereich mit Sicherheit der anspruchsvollste. Das Hauptziel unserer Forschung war es, ein inhärent instabiles Produkt – flüssigen Kaffee – zu stabilisieren. Einmal zubereitet, verliert Kaffee extrem schnell an Qualität. Kommt dann auch noch Milch ins Spiel, wird es chemisch hochgradig komplex. Ohne fortschrittliche lebensmitteltechnische Methoden flockt das Getränk innerhalb kürzester Zeit aus, es bilden sich Sedimente und der Geschmack verändert sich. Derartig schneller Qualitätsverlust macht die Verarbeitung von Kaffee in Convenience-Produkten sehr herausfordernd, da man hier über Monate hinweg einen gleichbleibenden Geschmack garantieren will.

Das Thema Frische scheint also entscheidend für den Kaffeegenuss zu sein. Woran machen Sie Frische fest?

Jeder hat eine ungefähre Vorstellung von Frische. Fragt man aber einmal konkret, was damit im Kontext von Kaffee gemeint ist, können die meisten es nicht wirklich definieren. Aus diesem Grund haben wir umfassende sensorische und vor allem chemische Analysen durchgeführt. Anhand dieser konnten wir bestimmte Indikatoren der Frische festlegen. Dabei handelt es sich um chemische Marker, an denen sich hohe sensorische Qualität ableiten lässt. Während Kaffee früher hauptsächlich anhand subjektiver Wahrnehmungen bewertet wurde, haben wir nun eine objektive Grundlage für empirische Untersuchungen.  

Können Sie einen dieser Frischeindikatoren beschreiben?

Ein Beispiel wäre Methanthiol, eine chemische Verbindung, die durch die Röstung entsteht und sich in frischen Kaffeebohnen nachweisen lässt. Bei der Lagerung zerfällt der Stoff jedoch schnell und reagiert zudem empfindlich auf Feuchtigkeit, Sauerstoff sowie Temperatur. Im Gegenteil gibt es auch Verbindungen, die im frischen Kaffee nicht nachweisbar sind und erst mit der Zeit entstehen. Indem wir also das Verhältnis dieser Markerstoffe messen, ergeben sich aussagekräftige Indikatoren für Frische. Selbstverständlich müssen die Marker aber eine sensorische Relevanz haben. Nur wenn die Menge des nachgewiesenen Stoffes Einfluss auf die Säure oder die Aromen des Kaffees hat, lohnt es sich, ihn zu messen.

Kommen wir zu Ihrer Arbeit im Coffee Excellence Center: Woher kommen die Impulse für neue Forschungsprojekte?

Unser Anspruch ist sowohl wissenschaftlich anspruchsvoll als auch wirtschaftlich relevant zu sein. Deswegen arbeiten wir bei unseren Projekten gerne mit Unternehmen zusammen. Somit wissen wir, dass unsere Forschung sicher einen praktischen Nutzen hat. Zudem ist es hilfreich, wenn uns jemand hinterfragt und regelmässig den Fokus korrigiert. Ohne Industriepartner forschen wir deshalb nicht. Selbst bei Grundlagenforschung gibt es eine Fragestellung aus der Wirtschaft. Auch mit Schaerer hatten wir auf diese Weise bereits Kontakt. Vor einigen Jahren kooperierten wir im Rahmen einer Studie zur mikrobiologischen Sicherheit von Milchsystemen in Vollautomaten. Für Schaerer hatte dies hohe praktische Relevanz, um etwa die Frequenz der Reinigungszyklen zu optimieren.

Neben der Forschung unterstützen wir die Branche aber auch mit Fortbildungsangeboten. So bieten wir etwa eigene Nachdiplomstudiengänge an der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) an. Die Unternehmen leisten hier ebenfalls einen wichtigen Beitrag, so waren wir beispielsweise schon zweimal bei Schaerer im Werk. Dort haben uns leitende Techniker unterstützt und waren als Dozenten involviert.

Welcher Forschungsschwerpunkt ist für Sie aktuell am vielversprechendsten?

Neben der bereits besprochenen Frische des Kaffees ist das Thema Wasser sicher ganz entscheidend. Aufgrund der verschiedenen Mineralien und deren Konzentration hat Wasser direkten Einfluss auf die Extraktionskinetik, die Qualität der Sensorik sowie auf den Verschleiss der Maschine. Um das „ideale“ Wasser zu finden, müssen zunächst messbare Eigenschaften definiert werden, an denen man sich orientieren kann. Grundsätzlich kann man festhalten, dass die Gesamthärte des Wassers und dessen Alkalinität besonders wichtige Faktoren sind. Der Härtegrad wird anhand der Menge der Magnesium- und Kalzium-Ionen gemessen und sollte etwa im Bereich sechs bis sieben liegen, gemessen in Einheiten von Deutschen Härtegraden (°d). Zur Bestimmung der Alkalinität wird der Anteil an Hydrogencarbonat ermittelt, hier ist ein Wert von vier °d empfehlenswert. Bereitet man das Wasser also vor der Zubereitung entsprechend auf, steigert man die Qualität des Kaffees und verlängert den Lebenszyklus der Maschine.

Gibt es abseits der Forschung aktuelle Kaffee-Trends, die man im Auge behalten sollte?

Bezüglich der Extraktionsmethoden erlebt der Filterkaffee in letzter Zeit ein Revival. Dies geht mit einem Trend zu leichteren Röstungen mit fruchtigeren Aromen einher. Bei der Zubereitung als „Pour Over“-Kaffee, also per Handaufguss, lassen sich bittere und saure Noten reduzieren, wodurch man plötzlich völlig neue Noten wahrnimmt. Diese feinen Nuancen gehen etwa bei einem Espresso verloren. Ich gehe davon aus, dass dieser Trend bleiben wird, denn er eröffnet eine völlig neue Dimension des Kaffeegenusses. Allerdings wird das Thema Automatisierung hierbei in Zukunft eine grössere Rolle spielen. Schon jetzt versuchen diverse Hersteller, diese Art der Extraktion mit ihren Maschinen abzubilden. Das tatsächliche Aufgiessen von Hand dürfte aber zumindest für Specialty-Coffee-Enthusiasten weiterhin dazugehören.

Diese Entwicklung lässt sich im Kontext eines allgemein gestiegenen Bewusstseins und einer grösseren Wertschätzung für guten Kaffee verstehen. Viele Menschen zelebrieren die Kaffeezubereitung heute regelrecht. Sie schaffen sich teure Maschinen an, kaufen hochwertige Bohnen – immer öfter auch in Form von innovativen Abo-Modellen – und tauschen sich mit anderen über Extraktionsmethoden, Mühlen und Ähnliches aus. Man kann das inzwischen zu einem gewissen Grad mit der Kultur des Weintrinkens vergleichen.

Doch auch der „Ready to Drink“-Bereich wächst seit einiger Zeit – und durch die Pandemie noch verstärkt – beträchtlich. Interessant ist der Gegensatz zwischen diesen Trends. Auf der einen Seite sehr bewusster, entschleunigter Konsum, auf der anderen maximale „Convenience“. Coffee-to-go ist schon lange ein wichtiges Thema und durch Corona kommen Cafés und Co. heute nicht mehr daran vorbei, selbst Kaffee zum Mitnehmen anzubieten. „Ready to Drink“-Produkte aus der Dose oder Flasche gehen hier noch einen Schritt weiter. Man muss nur noch in den Kühlschrank greifen, bezahlen, und schon kann man sein Getränk geniessen.

Als jemand, der sich intensiver mit Kaffee auseinandersetzt als die meisten: Was trinken Sie denn persönlich am liebsten?

In der Regel mache ich mir morgens zuerst einen Espresso mit einer kleinen Siebträgermaschine für den ersten Koffeinschub des Tages. Direkt danach trinke ich dann noch einen Filterkaffee. Den Kaffee mahle ich dazu immer frisch – am Morgen allerdings von Hand, um die Kinder nicht zu wecken. Sowohl Espresso als auch Filterkaffee trinke ich grundsätzlich ohne Milch oder Zucker. Das mag puristisch klingen, aber ich denke, ein guter Kaffee kann dadurch nur verlieren. Wenn aber einmal etwas misslingt, gleiche ich den Fehler mit einem Schuss Milch aus.

Möchten Sie zum Abschluss noch etwas ansprechen, das Ihnen in der öffentlichen Diskussion um Kaffee zu kurz kommt?

Ich bin der Meinung, allen Beteiligten innerhalb der Wertschöpfungskette – vom Bauern auf dem Feld über die Röster, die Maschinenhersteller, die Gastronomen bis hin zum Endkonsumenten – muss klar sein, welche Verantwortung sie tragen. Damit meine ich zum einen Verantwortung für das Produkt an sich, den Kaffee, aber auch für die Produktionsbedingungen. Bei Ersterem geht es vor allem um Respekt vor der Arbeit der anderen. Die besten Anbaubedingungen und die sorgsamste Röstung sind umsonst, wenn beim Maschinenhersteller kein Verständnis für Kaffeequalität herrscht und minderwertige Technik das Endprodukt zerstört. Aus diesem Grund unterstützen wir hier mit umfassenden Schulungsangeboten. Bezüglich der Anbau- und Arbeitsbedingungen haben meines Erachtens die Unternehmen am Ende der Wertschöpfungskette eine Verantwortung gegenüber jenen am Anfang. Denn sie erhalten einen Grossteil des Profits, der wiederum bei den Farmern für Bildung und Technologie fehlt. Von einer Auflösung dieser Asymmetrie würden langfristig alle profitieren, denn bessere Bildung und ein höherer Lebensstandard der Produzenten machen sich letztendlich auch in der Qualität des Produkts bemerkbar.

 

Prof. Dr. MBA Chahan Yeretzian arbeitet am Coffee Excellence Center an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.